Glossen

Lost in Wuppertal

Es ist noch nicht allzu lange her, da schielte man in Wuppertal verstohlen in das Rheinland. Zu gerne wollte man dazu gehören. Es verwundert ein wenig, dass eine Stadt, die immerhin das Oberzentrum des Bergischen Landes ist, die bergische Identität so versteckt. So entsteht zwischen Westfalen und Rheinland ein Nirgendwo, vielleicht auch – so würden die Anhänger der Science-Fiction-Serie „Star Trek“ sicher mutmaßen – eine Phasenverschiebung, die Materie einfach absorbiert und verschwinden lässt.
Dafür, dass es sich bei diesen Vermutung nicht um die spinnerte Idee eines Star-Trek-Fans handelt, gab es in der jüngeren Vergangenheit eindeutige Indizien. Es ist noch nicht allzu lange her, da verschwand etwa das Lego-Schwein von Spielwaren Müller in Elberfeld auf mysteriöse Weise. Auch wenn manche es an der Legobrücke der Nordbahntrasse zu sehen glaubten, verliert sich seine Spur im Nirgendwo. Ähnlich erging es auch dem Jesuskind, das erst vor kurzem auf mysteriöse und bisher ungeklärte Weise aus der Graffiti-Krippe verschwand.
Alles Zufall? Wohl kaum. Wer gelernt hat, dem gesunden Menschenverstand zu misstrauen, der sieht überall in der Stadt Löcher, die auf geheimnisvolle Weise Materie absorbieren. Man muss da gar nicht an die Millionen denken, die aus dem Stadtsäckel verschwinden. Es ist viel augenfälliger. Wo vor Jahr und Tag noch eine Bundesstraße war, gähnt jetzt ein großes Loch, das man paradox als  Döppersberg bezeichnet.
Findige Forscher wissen längst um die geheimnisvollen Kräfte, die da in Wuppertal wirken. Der Kundige ahnt es: Eine Stadt mit diesen Ressourcen ist wie gemacht, um Dinge schnell und unauffällig verschwinden zu lassen. Es kann keinen Zweifel geben: Das Bernsteinzimmer muss sich im Wuppertaler Paralleluniversum befinden. Der Namensvetter des Autors dieser Glosse (nicht verwandt und nicht verschwägert!) ist auf der richtigen Spur!
Der aufmerksame Leser wird überdies festgestellt haben, dass die gravitätische Energie sich besonders in Elberfeld bündelt. Das springt doch geradezu ins Auge. Und ja: Da ist doch noch etwas ... Der Tunnel am Döppersberg wurde dicht gemacht. Das kann doch kein Zufall sein. Und plant nicht ein Investor ganz in der Nähe ein FOC in der alten Bundesbahndirektion? Hinter dem Schein der Wirklichkeit erkennt der Wissende, dass das alles nur Tarnung ist: Im Keller der Bundesbahndirektion ist der Übergang zum Paralleluniversum! Dort sitzen der Graffiti-Jesus, das Legoschwein und sicher die eine oder andere verlorene Seele im Bernsteinzimmer in trauter Rotweinrunde.
Verwunderlich ist das nicht in einem Haus, das einer Institution Heimat war, für die das Phänomen Zeit auch nur eine Illusion ist. Wer immer am Bahnhof auf den nächsten Zug wartet, für den ist die Phasenverschiebung kein Hirngespinst: Züge fallen eben nicht einfach aus. Sie fahren nur in der nächsten Phase ...

Der Text wurde als Glosse in der Lokalausgabe der WZ Wuppertal vom 23. Januar 2015 erstveröffentlicht